Online Test, Assessment, testgestützte Eignungsdiagnostik: Muss ich für jede Personalentscheidung testen??

by Harald Ackerschott, posted Jul 06, 2018

Eignungsdiagnostik unterstützt durch psychologische Testverfahren, Online Assessments oder technologisch noch hippere Verfahren sind ein Thema, das in letzter Zeit genau die Aufmerksamkeit erhält, die es verdient.

Eignungsfeststellungen gehören zu den wichtigsten Entscheidungen, die in einer Organisation getroffen werden.

Aber ich werde immer wieder gefragt: „Muss ich jetzt unbedingt Tests einführen?“ „Kann ich nur mit Tests gute Entscheidungen treffen?“

Auch wenn wir selbst einen Onlinetest betreiben, muss doch nicht jeder immer testen. Ich möchte nur Kunden, für die wir wir wirklich einen Mehrwert schaffen, denn unsere Tests ist keine Commodity, sondern ein echter Wettbewerbsvorteil!

Aber ganz klar: Man kann auch ohne Tests zu guten Personalentscheidungen kommen.

Vor einiger Zeit fiel mir die „Work Hack“-Sammlung von Sipgate in die Hände:

24 Work Hacks

Sie enthält eine sehr schöne Beschreibung, wie man einen Prozess aufsetzt, in dem nicht getestet wird und dieser Prozess für die Auswahl von neuen Kolleginnen und Kollegen, war ziemlich überzeugend:

Das Team, das eine neue Kollegin oder einen neuen Kollegen braucht, trifft die Entscheidung!
Es sichtet selbst Unterlagen und macht Interviews. Das Team, nicht ein Vorgesetzter!

Dort, wo die Arbeit gemacht wird, liegt auch das Know-How wer gebraucht wird. So weit so gut, klingt ganz freundlich.

Und dann geht’s ans Eingemachte:
Die Probezeit wird bewußt und aktiv genutzt um die Leistung auch wirklich zu überprüfen. Mehrere Gespräche werden in einem definierten Rhythmus geführt, um die Entwicklung zu verfolgen und zu dokumentieren. Gegen Ende der Probezeit wird wieder entschieden, ganz bewußt und gemeinsam, ob die oder der Neue wirklich eine Bereicherung für die gemeinsame Arbeit darstellt.
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Und dann kommt der entscheidende Schritt:
Wenn die Entscheidung zur Einstellung aus der Sicht nach der Probezeit falsch war, wird sie konsequent korrigiert und dann führt das Gespräch zur Trennung auch jemand aus genau dem Team, das für die Einstellung entschieden hatte.

Dieses Vorgehen überzeugt mich!

Die Beteiligten erleben einen kompletten Lernzyklus von Informationssammlung und -verarbeitung über Entscheidung, Überprüfung bis zur Bestätigung oder Korrektur.

So können sie ganz persönlich konkrete Erfahrungen sammeln, ihre Fehler erkennen, für ihre Fehler gerade stehen (eben die Trennungsgespräche führen) und aus ihren Erfahrungen in der Eignungsdiagnostik und Personalauswahl lernen.

Information am Rande für die Insider in diesem Thema: Diese Vorgehensweise ist auch komplett konform mit der Qualitätsnorm in der Eignungsdiagnostik, der DIN 33430.

Viel Erfolg Sipgate, guter Ansatz!

2 Comments to "Online Test, Assessment, testgestützte Eignungsdiagnostik: Muss ich für jede Personalentscheidung testen??"

  1. Roland Kreuscher wrote:

    Lieber Kollege Ackerschott,

    dieser Blogeintrag von Ihnen ist schon ziemlich überraschend; zumindest für mich. Da muss ich – auch mit Verspätung – reagieren. Dass das so ausführlich geraten ist, tut mir leid. (Ehrlich? Nein, tut mir nicht leid. Etwas Erklärung dafür findet sich unten Ende des 4., im 6. Absatz ff.). Lesezeit ab jetzt: 6-8 Minuten.

    Nun, sicher „muss“ niemand bei Stellenbesetzungen „unbedingt“ Tests einsetzen. Klar.
    Wie niemand „unbedingt“ in ein Flugzeug steigen „muss“, wenn sie von, sagen wir mal, Ulan Bator nach Timbuktu reisen möchte. Sie kann, wenn alles gut geht(!), auch anders gesund in der Südsahara ankommen. Dauert halt viel länger, kostet u.a. deshalb unterm Strich viel mehr und lässt sich nur in erheblich geringerer Frequenz wiederholen. Genauso wenig „muss“ jemand „unbedingt“ aktuelle, über viele Jahre entwickelte und bewährte Transportsysteme nutzen, wenn sie, sagen wir mal, viele, leckere Chirimoyas von ihrer Plantage an der südspanischen Costa Tropical nach, sagen wir mal, Rotenburg an der Wümme schaffen und dort verkaufen will. Wenn sie nichts von den erwähnten Transportsystemen weiß und/oder von denen nichts wissen will, könnte sie mit ihrem Team in Open-Space-Zusammenkünften (Séancen?), mit ganz vielen „ach-soo“-Erlebnissen und gegenseitigen Wertschätzungs-Momenten, heraus moderieren: Aus alten, nicht mehr tragenden Bäumen schnitzt und leimt das Team Schlitten, belädt und sichert darauf je möglichst viele Chirimoyas; ebenfalls mit selbst erdachten „Systemen“. Und dann ziehen sie die Fracht nach Norddeutschland. Wo bis dahin sehr viel Obst anderer Erzeuger ankommen, verkauft und verzehrt wird. Alle im Team werden auf den ca. 2600KM viele wertvolle Lernzyklen erleben. Wie beneidenswert. Vielleicht sogar mit dem Ergebnis, nächstes mal das Rad zu erfinden …

    Das Rad gibt’s allerdings auch schon; wie die Schlitten zuvor. In unglaublich vielen Versionen für unglaublich viele Anforderungen. Man muss es nicht mehr erfinden oder nachbauen. Zumindest wird letzteres extrem selten wirklich vorteilhafter sein, als bereits erfundene/gebaute Räder zu nutzen. Die Zeit, die man zum „neu-Erfinden“ und „ins-störungsfreie-Laufen-bringen“ eines wahrscheinlich sub-optimalen Rades verbraucht, sollte man besser nutzen für das, was man eigentlich erledigen will/muss und hoffentlich kann; z.B. möglichst viele leckere und gesunde Chirimoyas erzeugen und verkaufen in, sagen wir mal, Rotenburg a. d. Wümme.

    Oder, bei Sipgate etwa, sollte man nicht die Zeit verschwenden zum Nachbau von Eignungsdiagnostik „auf Kufen statt auf Rädern mit Motor“ und auf ein Buch dazu. Die von Ihnen, Herr Ackerschott, so heraus gehobene, bei Sipgate konsequent übertragene Verantwortung für Ein- und ggf. dann auch Ausstellungsentscheidungen ist nun wirklich nichts Neues, und wäre auch bei Durchführung valider Tests so zu realisieren; seit wenigstens 30 Jahren. Sipgate hat diesbezüglich nichts Neues entdeckt. Dass das in zu vielen anderen Unternehmen zu selten so gehandhabt wird, ändert daran nichts. Sicher wäre die Zeit von Sipgate besser verwendet in der möglichst wirksamen, gezielten, individuellen Anwerbung von rar gesäten (potenziellen!) Talenten, wenn man denn die ’rar gesäten’ tatsächlich braucht und wofür es noch keine standardisierten und anhaltend validen Methodenpakete gibt. Auch von (Zeit-)Investments in weitere Optimierung ihrer Telefonieprodukte und –dienstleistungen, mit denen die Arbeitstage ihrer „Laien-“ und Profi-Kunden noch produktiver/effizienter werden, würde Sipgate wohl erheblich mehr profitieren. Erst recht, wenn Zeit, die noch übrig sein sollte, in die Auftrags- und Kundengewinnung flösse. Wenn dann noch Zeit bliebe, die interne Kommunikation von Person zu Person zu verbessern und damit u.a. interne Prozesse sowie Wohlbefinden „aller“ Stake- und Shareholder, sollte man das tun. Darin ist Sipgate evtl. ohnehin schon sehr gut. Wenn man dann immer noch Zeit übrig hat, sollen die Leute lieber frei machen, als Bücher von Laien für Laien zu schreiben – auf Basis sehr „schlanker“, 6-jähriger Erfahrung. Für Leser, die wie mutmaßlich Sipgate keine Lust haben, sich mit den vielen, vielfach überprüften, tatsächlich praktisch relevanten Erkenntnissen zu beschäftigen, über die man u.a. in vielfach überprüfter Literatur erfahren kann. Also, falls jemand Lust gehabt hätte, zu recherchieren und ausreichend zu verstehen, was es da seit mindestens 120 Jahren so alles gibt; z.B. Ihr Buch zur DIN, Herr Ackerschott. Für wen das nichts ist, für wen IT-typische „Hacks“ attraktiv sind, mit denen man echte, tiefe, breite und sicher anhaltende Problemlösung umgehen kann, für den sind diese WorkHacks wohl das Richtige. Ähnlich vielleicht wie bei Studenten, die lieber Prüfungsvorbereitung mit stichwort-artigen und fehlerhaften Skripten ihrer nah-vertrauten Kommilitonen (Peers!) betreiben als wirklich tragenden Wissensaufbau mit Schriften/Darstellungen, u.a. Lehrbüchern, von Autoren, die sie als fern-unvertraut erleben (wollen).

    Auf die Frage also, ob Tests wirklich sein müssen, kann man als echter Experte, der Sie, Herr Ackerschott, ja zweifellos sind, nach wie vor reagieren mit (sinngemäß):
    „Die seriöse Antwort auf diese Frage ist nicht ’einfach ja’ und erst recht nicht ’einfach nein’. Nehmen Sie sich eine Minute Zeit ?!“
    Bei ’OK, nehm’ ich mir’ lautet die Antwort (sinngemäß) – in einer immer noch knappen Einsteigerversion:
    „Wenn eine tatsächlich valide Eignungsdiagnostik erforderlich ist, was bei den weitaus meisten realen Stellenbesetzungen der Fall ist, und was man relativ leicht und sicher herausfinden kann, sollte man solche Tests einsetzten, die für die relevanten Bereiche tatsächlich valide sind, die von Kandidaten geschätzt werden und deren Anwendung sich i.d.R. sehr gut rechnet. Andere Verfahren sind grundsätzlich weniger valide, meist deutlich weniger oder gar nicht – jedenfalls bevor man sie konkret anwendet und(!) ordentlich evaluiert(!). Und fast immer sind sie deutlich weniger effizient; also i.d.R. auch teurer als Tests, wenn man richtig rechnet. Diese teuren, nicht-validen Verfahren können zum Einsatz kommen, wenn tatsächlich keine validen Tests eingesetzt werden können &/od. wenn – nach Tests – tatsächlich weiter Eignung diagnostiziert werden muss und man den dafür erforderlichen Aufwand tatsächlich nicht in Einarbeitung & Entwicklung der (neuen) Mitarbeiter stecken kann. Was aber nur selten tatsächlich so ist, und was man ebenfalls relativ leicht und sicher herausfinden kann.“

    Wer nach dieser seriösen Einstiegsantwort und auf „motivierende“ Rückfrage kein Interesse an der Präzisierung u.a. der Terme ’tatsächlich [usw.; 5x]’, ’valide’, ’relevante Bereiche’, ’effizient’ und ’richtig rechnen’ hat, wer also innerhalb von 2-3 Wochen danach keine weiteren ca. 7-17 Minuten dafür vereinbaren will – man wäre dann immer noch um Kontinente davon entfernt, große EiDi-Expertise zu erstreben -, der hört vermutlich den Schuss einfach nicht, der mit jedem Staffing einher geht, und der/die wird wohl weiter machen wie bisher &/od. wird Hacks&Tricks probieren, vielleicht aus „frag-mutti.de“ …

    Nein, man muss nicht immer „die Leute da abholen wo sie stehen“. Je nachdem, wo die hin müssen(!), müssen die sich auch mal dahin begeben, wo man sie sinnvoller Weise noch abholen kann. Und sinnvoll wäre es nicht mehr, wenn die Abholung die Ressourcen verbrät, die man für den sicheren Transport zum eigentlichen Ziel braucht.

    Immer noch bin ich überzeugt davon, dass Ihnen all das präsent ist. Was nicht zuletzt Ihr ABCi-Test nahe legt. Mir bleibt daher weiter unklar, warum bzw. wozu Ihr vorausgehender Blogeintrag so ausgefallen ist.

    So oder so, beste Grüße und alles Gute weiterhin

    Roland Kreuscher, München
    – Psychologie Transfer
    – BRSI Repräsentant Industrie – Psychologie

  2. Harald Ackerschott wrote:

    Lieber Roland Kreuscher,
    ganz herzlichen Dank für das Feedback!
    Alle Ihre Punkte sind valide und ich kann nur unterstützen, dass fundierte und valide Tests die beste und sinnvollste Arbeitserleichterung im Rekruting- Prozess sind.
    Die Qualifizierung der Vorgehensweise von Sipgate (ich muss hier aufpassen, meine Rechtschreibkorrektur möchte daraus immer „Spinat“ machen) als Work Hack im Sinne einer modernen Arbeitserleichterung ist sicher nicht richtig, aber ich fand beachtenswert, dass jemand die Last seiner Fehlentscheidungen aufrecht trägt und das auch so empfiehlt.
    Das ist bei weitem nicht selbstverständlich.
    Sie haben auch recht, dass man nicht alle abholen muss wo sie stehen. Entscheider müssen sich auch mal selbst bis zur Haltestelle bewegen um in Ihrem Bild zu bleiben, aber dafür müssen wir unsere Haltestellen auch gut beleuchten und sichtbar machen.
    Mein Post war eher so gemeint, dass man auch mal für einen kleinen Schritt, bei dem etwas – wenn auch bei weitem nicht alles – richtig gemacht wird, loben kann.
    Ich freue mich auf den weiteren Austausch!
    Beste Grüße
    Harald Ackerschott

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